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Die alte Tuchmachersiedlung

In der heutigen Raabser Straße befinden sich Reste der um 1650 von Graf Ferdinand Sigmund Kurz von Senftenau (1592-1659) erbauten Tuchmachersiedlung, einer der ersten frühindustriellen Arbeitersiedlungen Österreichs. Die Siedlung umfasste 30 Häuser in einer ursprünglich beidseitig der Straße gelegenen Verbauung. - Tuchmachersiedlung in Horn, die beispielhafte Wohnsiedlung einer wichtigen Handwerkszunft.

Seit 1652 ließ Ferdinand Sigmund Graf Kurz von Senfftenau (1628-1659 Stadtherr von Horn) vor dem Raabser Tor eine Siedlung für die Tuchmacher errichten. Die 30 eingeschossigen, giebelständigen Kleinhäuser sind zweizeilig angelegt. Im Laufe der Zeit wurden sie vielfach verändert und zum Teil zerstört. Die ursprüngliche Bausubstanz ist nur mehr teilweise erhalten.
Die einstöckigen Häuser mit straßenseitiger Stube und traufseitigem Mittelflur sind heute zum Teil stark verändert, zum Teil wurden sie auch abgebrochen. Bei einigen Häusern jedoch hat sich die ursprüngliche Substanz noch weitgehend erhalten, teilweise sogar noch der barocke Ziergiebel.

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Am Ende der Häuserreihen im Fluchtpunkt der Straße befindet sich die so genannte „Altöttinger Kapelle", die der in München geborene Graf Kurz 1656 nach dem Vorbild der «Heiligen Kapelle" in Altötting (Bayern) erbauen ließ. Der achteckige Zentralbau stand ursprünglich wohl alleine und wurde erst lange nach seiner Entstehungszeit durch die seitlichen Zubauten erweitert. 1987-1989 fand die Generalsanierung der Kapelle statt. In der Siedlung gab es auch eine herrschaftliche Taverne, in der Wein und Bier ausgeschenkt wurden. Der 115 m lange Platz zwischen den Häuserzeilen und der Kapelle an der Stelle der heutigen Raabser Straße diente den Tuchmachern wahrscheinlich als Viehweide.

Das Tuchmachergewerbe ist in Horn mindestens seit 1562 nachweisbar. Eine Handwerkszunft wie in Waidhofen an der Thaya gab es jedoch erst ab 1586. Unter der Herrschaft von Graf Kurz kam es dann zu einem allgemeinen wirtschaftlichen Aufschwung in Horn. Zu den wenigen ortsansässigen Meistern zog Kurz seit etwa 1647 viele fremde Gesellen und Meister hinzu, sodass es im November 1653 in der Stadt 49 Tuchmachermeister, 56 Knappen, 17 Lehrlinge und 134 Spinnerinnen gab. Der Jahreszins in der neuen Siedlung betrug 1 Gulden und war an die Herrschaft zu entrichten. Abnehmer der Tuche war hauptsächlich die kaiserliche Hofkammer, die den Stoff zur Einkleidung von Soldaten verwendete.Nicht nur wirtschaftliches Eigeninteresse, also das Eintreiben hoher Abgaben und Steuern, war für den Grafen der Grund für die Einrichtung des Tuchverlags. Nachdem 1620 in der „Schlacht am Weißen Berg" die politische Macht der protestantischen Stände gebrochen worden war, wurde die Gegenreformation mit starkem Druck fortgesetzt. Kurz setzte alle seine Mittel ein, um die Stadt zu rekatholisieren, und eines davon war eben, katholische Tuchmacher aus Mähren und Schlesien in seine Siedlung zu holen. Auch die Erbauung der Kapelle diente diesem Zweck.

Der von Graf Kurz organisierte Tuchverlag war wahrscheinlich die erste Gründung einer Textilmanufaktur in der Habsburgermonarchie. Nach dem Tode des Grafen Kurz ging die Tuchmanufaktur, auch bedingt durch verschiedene sozialökonomische Veränderungen, ihrem Niedergang entgegen. 1675 gab es in Horn nur mehr 12 Tuchmachermeister.

Die Tuchmacher

 

Verbreitete Webgarne aus einheimischen Rohstoffen waren Wolle für die Tuchmacherei, Flachs oder auch Hanf für die Leinenweberei. Tuchmacher (auch Wollweber, Wollner, Tucher) verarbeiteten gesponnene, gezwirnte und fallweise schon gefärbte Schafwolle auf Webstühlen zu Wolltuchen. Tuche, die aus gefärbter Wolle gewebt waren, besaßen einen höheren Wert als im ganzen eingefärbte Stücke.

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